Qual nach der Wahl

Nach der Landtagswahl dreht sich in Thüringen vieles um mögliche demokratische Regierungskonstellationen, wie die CDU mit ihrem äquidistanten Unvereinbarkeitsbeschluss nach links und rechts umgeht oder ob Höcke nicht doch irgendwie Ministerpräsident wird. Davor steht eine andere richtungsweisende Entscheidung an: die Wahl eines:r Landtagspräsidenten:in. 

Laut der Thüringer Verfassung und der Geschäftsordnung des Landtags muss sich das Parlament 30 Tage nach der Wahl konstituieren, sprich bis zum 1. Oktober. Arbeitsfähig ist der Landtag erst, wenn er eine:n Präsidentin:en hat.

Über das Amt wird innerhalb der ersten Sitzung entschieden. Eröffnet wird diese durch die:den Alterspräsidentin:en, d.h. der:dem ältesten Abgeordneten im Landtag. Karlheinz Frosch bekleidete das Amt in der letzten Legislaturperiode. Nach dieser Wahl ist Jürgen Treutler der älteste Abgeordnete und wie sein Vorgänger ebenfalls Mitglied der AfD. Wie schon 2019 leitet die erste Wahl im Landtag ein AfD-Abgeordneter. Vor fünf Jahren verlief zumindest diese Sitzung ohne große Zwischenfälle. Nun könnte es anders werden, da die rechtsextreme Partei erstmals die stärkste Fraktion in einem deutschen Parlament stellt. Daher pocht die AfD auf das Amt, während die anderen Parteien im Landtag eine:n AfD-Kandidaten:in ablehnen.

Keine klare Regelung

Für die ersten beiden Wahlgänge hat ausschließlich die stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht. Wer für die AfD kandidiert, steht bisher nicht fest. Er oder sie benötigt lediglich mehr Ja- als Nein-Stimmen. Gelingt dies nicht, dürfen weitere Bewerber:innen ins Rennen geschickt werden.

Hier könnte es zum ersten Mal spannend werden: Der Alterspräsident, eben jener von der AfD, fällt die Entscheidung über die Auslegung der Geschäftsordnung, da das weitere Vorgehen dort nicht klar geregelt ist. Es ist also im Bereich des Möglichen, dass Jürgen Treutler hier im Interesse seiner Partei handelt und auch nach dem zweiten Wahlgang ausschließlich weitere AfD-Kandidat:innen zulässt. Im Worst Case könnte die Wahl zu einer Hängepartie werden und am Ende juristisch geklärt werden.

Als stärkste Fraktion besteht Höckes Partei auf eine:n Landtagspräsidentin:en aus ihren Reihen. AfD-Sprecher Torben Braga sagte diesbezüglich gegenüber der FAZ: “Sollte es darüber zu einer Diskussion kommen, werden wir alles uns Mögliche tun, um unsere Rechte durchzusetzen.” Auf Nachfrage von Akrützel, wie die Partei ihre Rechte durchsetzen möchte, antwortete Braga nicht.

Und die anderen Parteien? 

Es liegt nun auch an den etablierten Parteien bis zur ersten Sitzung eine:n Gegenkandidatin:en zu finden, auf den sich die absolute Mehrheit im Landtag einigen kann. So könnten CDU, BSW, Linke und SPD von den Vorschriften der Geschäftsordnung abweichen und aus der Mehrheit heraus eine:n Landtagspräsidentin:en wählen, die/der kein AfD-Parteibuch mit sich führt. Auch hier wird es jedoch spannend sein, wie Alterspräsident Jürgen Treutler mit der Situation umgeht.

Bisher haben sich die Parteienspitzen auf der anderen Seite der Brandmauer zwar gegen eine:n AfD-Landtagspräsidentin:en ausgesprochen. Die Wahl ist jedoch geheim und die Abgeordneten können entgegen ihrer Parteilinie abstimmen. Möglicherweise kommt es also gar nicht erst zu all diesen Szenarien, wenn die Brandmauer schon im ersten Wahlgang bröckelt. Martina Schweinsburg von der CDU zum Beispiel könnte sich vorstellen, eine:n Kandidaten:in von der AfD zu wählen. 

Mehr als nur Grüßaugust

In erster Linie leitet der:die Präsident:in zusammen mit seinen/ihren Stellvertreterinnen und Stellvertretern die Sitzungen im Landtag. Er oder sie repräsentiert das Parlament nach außen. Das bedeutet auch, dass ein:e AfD-Amtsinhaber:in Reisen auf eigene Faust nach beispielsweise Moskau durchführen könnte, ohne politische Verantwortung tragen zu müssen, da er/sie nur repräsentiert und nicht regiert. 

Zudem nimmt der:die Landtagspräsident:in verwaltungstechnische Aufgaben wahr und übt das Hausrecht, die Ordnungs- und Polizeigewalt im Landtagsgebäude aus. In naher Zukunft leitet die gewählte Person die Ministerpräsident:innenwahl. Die AfD könnte die nächste richtungsweisende Wahl dann schnellstmöglich beantragen, bevor die anderen Parteien eine Höcke-Alternative sondiert haben.

Inwieweit die AfD jedoch die Grenzen der Geschäftsordnung mit einem:r Amtsinhaber:in ausreizen würde, bleibt abzuwarten. 

Die Abwahl wäre indes schwierig. Hierfür braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Und eben diese haben die demokratischen Parteien am 1. September 2024 verloren – ohne vorher eine klare Regelung für die Wahl in die Geschäftsordnung zu implementieren. 

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